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Heimatloser Ausländer

  • Writer: Ira
    Ira
  • Jul 30
  • 4 min read

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Heimatloser Ausländer.. Das ist mein Ausweis. Bis ich zwölf bin. Dann erlangt mein Vater, der nicht mein leiblicher Vater ist, nach neun Antragsjahren die deutsche Staatsangehörigkeit. Es dauert neun Jahre. Neun Jahre wird geprüft, ob er das Recht hat, ein deutscher Staatsbürger zu sein. Er überlebt im 2. Weltkrieg fünfeinhalb Jahre deutsche Arbeitslager und springt dem endgültigen Tod durch Exekution nur durch die sicherlich strategische, vielleicht auch menschenfreundliche Befehlsumgehung eines Wärters von der Kippe. Die Amerikaner sind nur noch zehn Kilometer vom Lager entfernt. Göring selbst gibt den Befehl zur Exekution. – Aber das ist eine andere Geschichte und führt zu weit. – Später macht mein nichtleiblicher Vater an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität seinen Doktor mit cum laude, und zahlt sehr, sehr viele Steuern an den deutschen Staat.

 

Heimatloser Ausländer.. So einen Ausweis gibt es nur in Deutschland. Du bist damit nicht nur staatenlos, sondern dir wird der Anspruch auf eine Heimat abgesprochen. Heute verstehen viele Menschen viele unterschiedliche Dinge unter Heimat. In romantischen Hollywoodkomödien, in Schlagern, in Groschenromanen sagen sich Liebende: „Du bist meine Heimat“. „Wo du bist, ist meine Heimat.“ Wie oft hört man Personen aussprechen „meine Familie ist meine Heimat“, ja sogar „meine Kunst ist meine Heimat“. Was für ein Staat kann anderen Menschen das Recht absprechen auf diesen Ort? Auf diesen Raum außerhalb und innerhalb ihrer selbst?  Auf dieses warme, dich deiner Daseinsberechtigung versichernde Gefühl? Diese „Heimat“? Die gesamte Perfidität des dritten Reiches, des Nazi-Regimes, einer zutiefst im Völkischen verwurzelten Gesellschaft, schwallt ungebrochen in einer großen, dreckigen, braunen Welle in die neue deutsche Gesellschaft. Und aktuell werden die Wellen groß und größer. Tanzen frisch und fröhlich herum, endlich wieder frei. Hojotoho! Es gibt neue Sündenböcke. Und alte. Die Transporte setzen sich wieder in Bewegung. Sind jetzt Flugzeuge. Macht nix.

 

Kürzlich überlegte ich, was passierte, wenn mir meine deutsche Staatsbürgerschaft wieder aberkannt würde. Würden dann Menschen wie ich in die Heimatlosigkeit remigriert? Mein erster Gedanke: „Hm, vielleicht ist das der place to be, heutzutage“. Stellen wir uns die Heimatlosigkeit mal als einen virtuellen Ort vor, einen befreiten geistigen Raum. Ich gebe zu, hier schwingt viel deutscher Romantizismus mit, die poetische Idee der „Unbehaustheit“ als Freiheit. Ich habe mich dann erkundigt: In die Heimatlosigkeit können wir nicht remigriert werden. Gestern hat mir mein Bruder erzählt, dass ich die Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes meines nichtleiblichen Vaters hätte. Dass ich etwas, was ich nie hatte, nicht verloren hätte. Ich kann sogar einen Pass beantragen. Also zu einem Land gehören, zu dem ich nie gehörte und zu dem mein nichtleiblicher Vater auch nicht mehr gehört. Paradox. Ich werde das sicherlich nicht tun. Ich konnte mich mit diesem Land nie identifizieren. Es war mir fremd. In das Land meines richtigen Vaters soll man nicht reisen. Zu gefährlich. Das werde ich aber trotzdem bald machen. Dieser leibliche Vater war ebenfalls eine DP. Eine Displaced Person.

 

2003 leben noch 10.023 heimatlose Ausländer*innen in Deutschland.

Als die International Refugee Organization (IRO) 1951 darauf hinweist, dass die betroffenen Menschen nicht „heimatlos“ seien und vorschlägt, den zutreffenderen Begriff Flüchtlinge unter der Protektion der UN (United Nations) zu verwenden, lehnt die Bundesregierung das ab. Die Gesetzgebung wird damals maßgeblich vom Vertriebenenministerium beeinflusst, das eine Gleichstellung der DPs mit deutschen Flüchtlingen vermeiden und den Begriff Flüchtling deshalb für Dps nicht verwenden will. Die Bezeichnung Displaced Person wird durch Heimatloser Ausländer ersetzt, um damit den Hinweis auf die unverschuldete Zwangsverschleppung und die Erinnerung an dieses Verbrechen des deutschen Staats im Zweiten Weltkrieg zu vermeiden. Eine wichtige Rolle dabei spielen die Alt-Nazis Kurt Breull, der in Bonn damals Leiter des Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferats im Bundesinnenministerium ist, und Theodor Oberländer, Staatssekretär für Flüchtlingsfragen im bayerischen Staatsministerium des Innern. Beide versuchen, den noch in Deutschland verbliebenen, zumeist jüdischen DPs, das Leben zur Hölle zu machen. Zu einer neuen Hölle.

 

Der Begriff Heimatloser, taucht zum ersten Mal im Grimmschen Wörterbuch von 1871 auf. Während staatenlos eine juristische Definition ist, „wird die:der ‚Heimatlose‘ oft als eine Person mit einer emotionalen oder weltanschaulichen Befindlichkeitsstörung wahrgenommen.“ Sagt Wikipedia. Der Begriff schreibt zu, was er evoziert. Ähnliches passiert in der aktuellen Geflüchtetenpolitik. Der Status Heimatloser Ausländer wird an die Nachkommen vererbt, erlischt jedoch bei Änderung der Staatsangehörigkeit. Deswegen keine Remigration in die Heimatlosigkeit. Heimatlose Ausländer besitzen kein Wahlrecht und keinen deutschen Reisepass, alle zwei Jahre müssen sie erneut ihr Aufenthaltsrecht beantragen.


Mein bereits erwähnter Bruder, in München geboren, zur Schule gegangen, studiert, versucht das erste Mal die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen, als sein Sohn geboren wird. Er macht offensichtlich etwas falsch. Die Staatsangehörigkeit wird ihm verwehrt. Stattdessen kommt jemand vom Jugendamt vorbei, um zu prüfen, ob er und seine Frau, eine Deutsche, fähig und berechtigt seien, ihr Kind großzuziehen. Er muss wie oben erwähnt alle zwei Jahre den Gang nach Canossa machen, respektive zum Ausländeramt in der Ettstraße, heute Sitz des Münchner Polizeipräsidiums, um sein Aufenthaltsrecht zu erneuern. Er beschreibt, wie ihn jedes Mal eine irrationale Furcht beschleicht, wenn er den großen, langgestreckten Raum queren muss, hinter dem der riesige Schreibtisch der Beamt*innen steht, der Entscheider*innen über Bleiben oder Gehen. Wohin?

Ein albtraumartiger Sturz aus dem normalen Leben.


Verunsicherung, Demütigung, das Infragestellen des gleichwertigen Menschseins werden nach dem Zusammenbruch des dritten Reiches als politische und ökonomische Instrumente in Kontinuität weiter vom deutschen Staat und der deutschen Gesellschaft eingesetzt; oft von den gleichen Akteur*innen, den gleichen Bürger*innen. Manche Konzentrationslager werden in Lager für Dps verwandelt. An einigen Standorten werden Baracken saniert, auf dem Gelände und im Umfeld Wohnblöcke hochgezogen, die fast ausschließlich von Dps bewohnt wurden. Als die Gastarbeiter*innen nach Deutschland kommen, werden Barackenblöcke von Unternehmer*innen aufgekauft – so die Gebäude des Kammstatter Lagers – als Lebensraum für die Arbeiter*innen, die, was in den damaligen Medien betont wurde, freiwillig zum Arbeiten ins Land kamen. Das ist Kontinuität. Das ist Politik.

Ira Blazejewska



Mein Kommentar Heimatloser Ausländer ist auch im aktuellen Hinterland Magazin zu lesen. Es ist mir eine Freude in der Ausgabe Hey, Migrantifa dabei zu sein, in der ausschließlich Stimmen migrantischer und geflüchteter Menschen zu Wort kommen.

Es lohnt sich allerdings so was von, sich das Magazin in Papier zu besorgen, weil es bildschön ist im wahrsten Sinne des Wortes, mit tollen Beiträgen, Kunst, Fotos.

 


 
 
 

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