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Lust und Unlust

Ich habe Lust gemein zu sein. So wie ein Schwein zu sein. - Verkürztes Zitat einer von mir geschätzten Band. Nun: was ist Lust? Lust auf etwas haben, bedeutet in der Essenz und im besten Fall, frei und offen zu sein. Neugierig die Welt in ihren Erscheinungen aufzusaugen, von ihr genährt zu werden, die Nahrung zu verdauen, und das Verdaute wieder loszulassen in die Welt, verwandelt. Lust ist, Wasser zu trinken, wenn es heiß ist. Haut zu berühren, weil sie für einen schön und verlockend ist. Musik zu hören, weil sie einen wegträgt. Musik zu machen, weil sie die ureigene, tiefe Melancholie gnädig und süß aufblühen lässt, wie eine mitternachtsblaue Blume. Zu Tanzen, weil sich der schwitzende Körper im Rhythmus einer uralten, immanenten Lebendigkeit erinnert, jenseits vom ich. Zu vögeln, weil wir uns spüren, endlich jede Zelle atmet. Zu laufen, weil wir es können. Das immer wieder neu beste Essen zu essen, den Samt des nächsten Weins auf der Zunge zu spüren. Voller Dankbarkeit. Vor einem Bild zu stehen und im Körper den Widerhall zu spüren von einer Ordnung, die jenseits unserer Anstrengung existiert. Vom zitternden Tautropfen auf einer durchsichtig rosafarbenen Blumenhaut zu Tränen gerührt zu werden. Erschüttert zu sein von der Schönheit einer Hügellandschaft, einer Nackenlinie, dem glitzernden Licht auf einem roten Traktor. Das alles macht Lust. Das alles ist die pure Lust. Die Lust, die aus der Fülle kommt.

Die Mangellust bitte ich, mich an dieser Stelle zu entschuldigen. Ich habe gerade keine Lust, von ihr zu sprechen. Aber sie kann versichert sein, dass ich mich in meinem Leben noch öfters mit ihr unterhalten werde. In den Momenten, in denen ich Lust habe, so wie ein Schwein zu sein.


Die Unlust hat einen schlechten Stand. Besonders in unserer Gesellschaft. Glück ist die Vermeidung von Unlust. Nach Epikur. Aber leider sind wie keine glücklichen Schweinchen in seiner Herde, die in einem utopischen Ideal der Gerechtigkeit und Balance zufrieden vor sich hin grunzt. Und sich in weichem Schlamm suhlt. Bei uns wird die Unlust verunmöglicht, weil wir glücklich und fit und schön sein müssen. Müssen. Müssen! Egal, ob wir gerade Lust darauf haben oder nicht. Ich breche eine Lanze für die Unlust. Hey, es ist ok, mal keine Lust zu haben. Auf dich nicht, auf mich nicht, auf den ganzen Zirkus. Sich oblomowesk auf dem Sofa zu wälzen. In die Luft zu stieren und die Schnauze voll zu haben. Sich die Decke über den Kopf zu ziehen und gar nichts zu mögen. Mal einfach Ruhe zu geben. Bis dich etwas leise kitzelt, du blinzelst, der Duft von frisch gemahlenen Kaffebohnen durchs geöffnete Fenster fliegt und deine Nasenhärchen streichelt. Und du vielleicht Lust bekommst, die Augen ganz aufzumachen und dich umzugucken. Früher oder später.


Ira Blazejewska, Januar 2022





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