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Die Auswirkungen der Corona-Krise auf eine soloselbständige Musiker*in und Künstler*in. Ein Gespräch

Die Auswirkungen der Corona Krise auf eine soloselbständige Musiker*in und

Künstler*in. Ein Gespräch. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Situationen sind rein zufällig.


Frau A: Ich arbeite für eine Gewerkschaft. Könnten Sie für mich zusammenfassen, welche

Auswirkungen die Corona Krise auf Sie hat?


Frau B: Die Auswirkungen sind katastrophal und nachhaltig. Alle Konzerte, auch

Engagements bei Geburtstags - und Firmenfeiern, Hochzeiten, Vernissagen wurden

abgesagt. Honorare von Privatschüler*innen, die den Unterricht ohne Vertrag in Anspruch

nehmen, fielen sofort weg, bei anhaltender Krise könnten Regressforderungen von den

wenigen Vertragsschülern, die momentan noch Honorar zahlen, auf mich zukommen. Eine

geplante Ausstellung, bei der mit Verkäufen zu rechnen war, wurde auf unbestimmt

verschoben. Die Produktion von 2 Büchern mit Werken von mir verzögert sich. Ich und viele

andere befinden sich in der totalen Schwebe. Etliche Hilfen wurden und werden

angekündigt, ich nehme das wahr und reagiere sofort, es gibt kein Feedback bis jetzt. Ich

kann mit belastenden Umständen umgehen, habe 2 Kinder, die jetzt studieren und sich

selbständig finanzieren, alleine und ausschließlich als Kulturschaffende großgezogen. Aber

diese Situation fühlt sich nicht gut an. Während wir warten und natürlich! in gewohnter

selbst – und situationsoptimierender Manier versuchen, eigeninitiativ zu werden, scheint

sich unter der Decke eines bundesweiten politischen Konsens etwas zusammenzubrauen.

Statt um Umverteilung der Mittel, die jetzt nicht mehr nur angesagt, sondern absolut

existenziell ist, scheint es erneut nur um Umverteilung individueller Arbeitskraft als

Ressource (Spargelstechen) und somit weitere Kapitalakkumulation zu gehen. Während die

Kulturbetriebe geschlossen sind, arbeiten die Menschen an den Fließbändern der

Rüstungsfirmen weiter. Mitbürger*innen, die in der Gastronomie beschäftigt waren, stehen

– teils ohne Schutzmaske und Handschuhe - an den Supermarktkassen. Ich könne die Liste fortsetzen. Aber wie immer sind wir Kulturschaffenden zu beschäftigt, um überhaupt tiefer zu bedenken, was da gerade passiert. In den letzten Jahrzehnten wurden wir gründlich daran gewöhnt, uns mit der Selbstausbeutung widerstandslos abzufinden, ja, manch eine*r stimmte dem Narrativ, dass diese Selbstausbeutung Freiheit und Selbstverwirklichung bedeute, zu, um sich ein Restchen Würde zu bewahren. Fataler Fehler. Und auch jetzt werden wir wieder selbst aktiv. Wirken also systemerhaltend, während dieses System in den letzten Zügen liegt. Ein Kollege hat sofort reagiert und Wohnzimmerkonzerte gestreamt. Ganz offiziell und korrekt, mit Anmeldung bei der GEMA. Die Jahresrechnung für diese Aktivität, die sowohl Selbsthilfe als auch kulturellen Gesellschaftsbeitrag in Zeiten der Krise bedeutet, kam sofort mit Zahlungsaufforderung bis Ende April. Auf die Soforthilfe vom Wirtschaftsministerium wartet der Künstler noch und muss inzwischen befürchten, dass er gar nicht berechtigt ist, da diese Hilfe in Bayern – im Gegensatz zu anderen Bundesländern – anscheinend nur für Betriebsausgaben, also Mieten und Personalkosten gedacht ist. Eine andere Kollegin ruft gerade eine Spendenaktion gemeinsam mit dem BR ins Leben. Was sie da unternimmt, ist ARBEIT. Die natürlich nicht entlohnt werden wird. Diese Krise zeigt auf, was falsch läuft. Die Kultur macht den drittgrößten Faktor im Bruttosozialprodukt dieses Staates aus. In der Realität wird unsere Arbeit aber durch die Arbeitsbedingungen von Jahr zu Jahr mehr entwertet. Wir wollen nicht mehr froh darüber sein, für kein Geld die zigste Zwischennutzung zu bespielen, um das Ansehen der Stadt aufzupolieren, ohne dass wir irgendetwas anderes davon haben als einen kurzen Applaus, ein Händeschütteln und sonst Erschöpfung und Verzweiflung, weil wir genau merken, dass wir auf den Arm genommen werden und uns selbst etwas vormachen. Wir wollen nicht mehr in einschlägigen Magazinen als Szenegrößen bezeichnet werden und immer wieder angeboten bekommen, auf Hut oder

für lächerliche Gagen zu spielen, bei Veranstalter*innen, die jede Woche in denselben

einschlägigen Magazinen gepriesen werden und dabei selbst nicht wissen, wie sie um die

Runden kommen. In dieser Krise könnte eine Chance stecken zum Umdenken und

Umorganisieren. Stellt Euch mal vor, die Theater werden wieder geöffnet und die

Schauspieler*innen spielen nicht mehr. Machen nicht mehr mit. Einfach so. Das wird

wahrscheinlich nicht passieren, liegt nicht in der Natur der Künstler*innen. Leider. Aber jetzt

geht es nicht um Zukunftsvisionen, sondern um die Gegenwart, in der wir Kulturschaffenden sofortige, unbürokratische Unterstützung brauchen.

Herr X, nennen wir ihn einen Funktionär der Kultur – und Kreativwirtschaft:

Ich kann Ihre Frustration verstehen und nachvollziehen. Dafür gibt es allerdings ein wirklich

schnelles und unkompliziertes Unterstützungsangebot, das Sie abrufen können. Etwas

einfacheres gibt es nicht und hier wurde wirklich sehr schnell und niedrigschwellig reagiert.

Deutlich schneller als irgendeine Einrichtung in Deutschland bislang reagiert hat.


Frau B:

Ja, ich habe dieses Unterstützungsangebot sofort, voll Vertrauen und mit einem guten

Gefühl wahrgenommen. Was ich übrigens auch erwähnt habe. Wir werden sehen, ob und

wie schnell das greift. Ich bin in solchen Dingen äußerst pragmatisch. Sie meinen es sicher

gut. Aber offensichtlich wollen Sie mich zwischen den Zeilen in dem Bild einer jammernden, überforderten Künstler*in verorten. Von diesem konstruierten Opferstatus distanziere ich mich.


Herr X: Aha. Ehrlich gesagt, verstehe Ihre Logik nicht ganz. Sie wollen in Ihrer Bedeutung

ernst genommen werden und verweisen dabei auf den Staat. Leider zeugen aber gerade die Beispiele die Sie bringen von mangelnder Eigenverantwortung der Branche selbst. Ich kann nur für andere da sein, wenn es mir selbst gut geht. Viele Kunstschaffende vergessen das und gehen immer ans eigene Limit. Dabei muss doch gerade Eigenverantwortung die

Grundlage für selbstverantwortliches Handeln im kulturellen Kontext sein. Ja, der kostenlose Gebrauch von Kultur ärgert mich auch unendlich. Aber wenn ich mich als Künstler*in kostenlos zur Verfügung stelle, habe ich im ersten Schritt erst einmal Selbstverantwortung für mein Tun. Warum sollte Sie "der Staat", wer immer das dann sein mag, davon abhalten. Wenn mir eine Zwischennutzung nicht passt, dann sage ich: „Nein, ich mache nicht mit.“ Für viele andere passt es aber, weil sie einfach nur temporär arbeiten wollen, oder aber kurzfristig Projekte in Teams sichtbar werden lassen wollen. Könnten Sie das zulassen?


Frau B:

Zunächst zur Unverständlichkeit meiner Logik: Tatsächlich erschließt sich mir Ihr Punkt - ich

denke nicht, dass man es als Argument bezeichnen könnte-,"Sie wollen in Ihrer Bedeutung

ernst genommen werden und verweisen dabei auf den Staat.", ganz und gar nicht. Ich sehe

durchaus keine Unvereinbarkeit zwischen mündigen Bürger*innen und einer von den


Bürger*innen gewählten Organisation, nennen wir es nun zB. Staat oder Stadtverwaltung,

die verantwortlich Strukturen schafft, die es den Bürger*innen ermöglichen, sich

bestmöglich in die Gesellschaft einzubringen und von Ihrer Arbeit gut und menschenwürdig

zu leben - übrigens der Auftrag, den sie von den Bürger*innen erhalten hat. Mir ist nicht klar, von welchen Politiken Sie ausgehen. Etwa von einem unverhohlenen postfordianischen

Kapitalismus? Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich das missinterpretiere.


Herr X: Dass öffentlich geförderte Kultur gerne auf hochmotivierte Kunstschaffende

zurückgreift, ist leider nur zu bekannt, und da muss es zuallererst ein entschiedenes Nein der Kunstschaffenden selbst geben. Leider höre ich das viel zu selten. Stattdessen soll der Staat das richten. So kann das leider nicht funktionieren.


Frau B: Sie unterstellen uns also mangelnde Eigenverantwortung. Sie tun so, als ob jede*r

die Wahl hätte. Diese Wahlmöglichkeit existiert in der Realität oft nicht. Sie lassen außer

Acht, dass manche Künstler*innen sich existenziell offensichtlich so bedroht fühlen, dass

jede Möglichkeit „Projekte sichtbar werden zu lassen“, wie Sie es in Kreativwirtschaft-

Speech framen, in sich die Hoffnung birgt, dass daraus vielleicht ein richtiger Job resultiert,

bei dem die Arbeit auch entlohnt wird. Diese Bedingungen machen Menschen mit der Zeit

sehr mürbe und sie haben nicht mehr die Kapazitäten, auf sich zu achten und zu

entscheiden. Sie reagieren nur noch. Wir alle leben in Bezügen, wir sind nicht frei.

Und wir sind auch nicht selber schuld. Es ist viel zu einfach, die Verantwortung immer und

immer auf die Kulturschaffenden, bzw. im gesamten gesellschaftlichen Kontext auf die

Bürger*innen zurück zu werfen. Vielleicht ein wenig weit hergeholt, aber eine Analogie: Wir

Erdenbürger*innen sollen so wenig Plastik wie möglich verwenden. Das ist die

Verantwortung jeder*jedes Einzelnen. Warum aber wird Plastik weiter in Unmengen

produziert? Genauso verhält es sich mit der Massentierhaltung. Ich denke, ich muss das

nicht ausführen. Das Problem ist die Produktion und nicht Nachfrage und Angebot, dieses

Märchen, das stur wiederholt wird. (Natürlich wird auch Nachfrage erzeugt, aber ich setzte

voraus, dass wir alle hier wissen, wie das funktioniert.) Nun aber die entscheidende Frage in

dem ganzen Kontext: Wer hat das Gesetz geschrieben, dass es unmöglich ist, Kunsträume

zu Verfügung zu stellen und gleichzeitig die Künstler*innen für die kulturelle Arbeit, die sie

in diesen gesellschaftlichen Räumen leisten, zu entlohnen? Dieser stumme Konsens gehört

hinterfragt. Denn die Bedingungen unter denen wir Kulturschaffenden arbeiten müssen

werden gestaltet und von der Kreativwirtschaft verwaltet innerhalb eines politischen

Rahmens, der dieser Verwaltung den Zugang zu Räumen und Mitteln ermöglicht. Uns

Künstler*innen stehen diese Räume und Mittel nicht direkt zur Verfügung. Das ist eine

politische Entscheidung, die in die Erzählung mündet, dass uns etwas zu Verfügung gestellt

wird, ja geschenkt wird, während wir doch in Wirklichkeit eine nicht entsprechend

honorierte Gegenleistung liefern. Genau jetzt sollte das aufhören! Und um nochmal auf das "Sich oder seine Projekte zeigen" zurückzukommen. Wir können es nicht mehr hören.


Überall dürfen wir uns zeigen, Werbung für unser "Ding" machen. Umsonst. Dafür gibt es einen Namen: Ausbeutung. Ich will hier nicht dieses abgedroschene Beispiel wiederholen und muss es doch: der Elektriker kommt auch nicht und richtet mir meine Waschmaschine, um Werbung für seine Firma zu machen. Übrigens machen immer mehr Kolleg*innen und ich selbst da seit geraumer Zeit nicht mehr mit. Hoffentlich ein anderer unausgesprochener Konsens, der am Entstehen ist.


Herr X.: Sehen Sie, es geht ja! "Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“, fängt halt mit

Selbstliebe an!


Frau B: Danke für den hilfreichen Hinweis. Übrigens: Die Beispiele, die ich in meinem Text

angeführt habe, waren allgemein gehalten, ich habe die Situation der Vielen beschrieben,

die immer noch umsonst oder nicht dem Wert ihrer Arbeit entsprechend entlohnt, arbeiten.


Sie sprechen mich sehr persönlich an. Durch diese Rhetorik isolieren sie mich, lassen es so

klingen, als hätte nur ich ein Problem durch die falschen Entscheidungen, die ich träfe (und

die ich, um mich zu wiederholen, nicht mehr so treffe), und implizieren, andere oder "man"

könne es besser machen. Ich hoffe und denke, wir Kulturschaffenden lassen uns nicht mehr spalten. Ich denke auch, dass es sich erklärt hat, was für mich ""Der Staat", wer immer das dann auch sein mag"; bedeutet. Ansonsten tausche ich mich gerne weiter aus.


Frau A: Vielen Dank. Ich konnte mir ein Bild machen von den Auswirkungen der Corona Krise auf die Kulturschaffenden. Fast noch interessanter ist der Einblick in die Krise dahinter, die sich in dem Verhältnis der Kulturschaffenden und der Kultur – und Kreativwirtschaft am

Standort München zeigt. Damit können wir arbeiten.

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